Kommentar: ISO 9624 – Unnötige Probleme für thermo­plas­tische Bunde und Flanschverbindungen

Unser Kommentar: neueste ISO 9624 ist fehlerhaft und verur­sacht unnötige Probleme für die Verwender von thermo­plas­ti­schen Flanschverbindungen.

Michael Ritz
Geschäftsführer bis 2018
08.11.2022  | 5 Minuten

PE-Flansch­ver­bin­dungen dürfen und müssen nicht undicht werden – ein Statement

Besserer Kontakt und weniger Probleme mit Montage und Leckage bei PE 100 PN 16 Flanschverbindung

Für Planer und Anwender von PE-Druck­lei­tungen kann die Verwendung der ISO 9624 zu Problemen führen, da der Basis-Flansch­standard wesent­liche Aspekte nicht berück­sichtigt. Auch hilft es nicht, andere Kunst­stoff-Anwen­dungs­stan­dards wie EN 12201 und ISO 4427 (Wasser) oder EN 1555 (Gas) zu verwenden, weil sie sich auf diese ISO 9624 beziehen. Die Alter­native EN ISO 15494 (Industrie) behandelt das Flansch­thema eigen­ständig, hat aber bisher die Kompa­ti­bi­lität zum Stahl­standard EN 1092–1 auch (noch) nicht umgesetzt.

Unabhängig von der nachfolgend näher beschrie­benen ISO-Problematik
haben sich deshalb in der Praxis voll druck­be­lastbare, normkom­pa­tible Flansch­ver­bin­dungen bewährt, die kunst­stoff­ge­recht optimiert wurden und ohne Einschrän­kungen die Nenndrücke 10 bar, 16 bar oder auch PN 25 oder sogar höher ermöglichen.

Kunst­stoff-Flansch­ver­bin­dungen: Welche Grenzen gibt es?

In den 1960er Jahren wurde der Rohstoff PE entwi­ckelt und in den 1970er Jahren DIN-Standards für PE-Rohrver­bin­dungen erarbeitet, die in den 1980ern zum deutschen Standard wurden und zum Teil weltweit so zum Einsatz kamen. Damals war jedoch der Anwen­dungs­fokus von Kunst­stoff-Rohrsys­temen eher die Korro­si­ons­be­stän­digkeit als der Betriebs­druck. Somit genügte es, die Verwendung der Stahl-Standard­los­flansche als Basis für PE-Rohrsysteme zu verwenden, obwohl sich die Rohrdurch­messer und auch die Wanddicken deutlich gegenüber den Stahl­rohren unter­scheiden. Die Kunst­stoff-Vorschweiß­bunde wurden pragma­tisch maßlich an den Losflan­schen „angepasst“ und somit die Basis des 1988 neu entwi­ckelten DIN 16963–4‑Standards. Die sich für einige Abmes­sungen ergebene, einge­schränkte Belast­barkeit war für Anwendung auch in der Chemie erst einmal problemlos.

Mit steigenden Betriebs­drücken bei PE-Druck­rohr­an­wen­dungen und vor allem Nennweiten weit über DN 200 hinaus, zeigten sich bereits in den 1990er Jahren in der Praxis die Grenzen der Belast­barkeit der Kunst­stoff-Flansch­ver­bin­dungen. Deshalb wurde 1996 von Reinert-Ritz der voll druck­be­lastbare HP-Flansch für PE-Rohrsysteme entwi­ckelt. Der auslö­sende Grund dafür war ein Versa­gensfall, bei dem sich während der Druck­probe der DN 800er Vorschweißbund unter dem Flansch „heraus­ge­bördelt“ hatte. Mit der Rohstoff­ent­wicklung zum heutigen PE100 stieg erneut die mögliche Innen­druck­be­last­barkeit, so dass in der Praxis vermehrt die Schwach­stelle Normflansche offen­sichtlich wurde.

Undichtigkeit einer DN 600 Flanschverbindung in Druckrohrleitung

Bild 1: Undich­tigkeit einer DN 600 Druckrohrleitung

Die Proble­matik ISO 9624

Mit der Inter­na­tio­na­li­sierung der PE-Standards wurde 1998 der damals weltweit verwendete DIN 16963 Flansch­standard von der neu erstellten Erstausgabe ISO 9624 abgelöst. Dabei wurde jedoch als Kompromiss gegenüber anderen damaligen, lokalen Standards, auf wichtige Maße wie die Bund- oder auch Flansch­dicke und andere Maße verzichtet. Das größte Problem mit dieser Inter­na­tio­na­li­sierung war die „Unkenntnis“ der damals aktiven ISO-Arbeits­gruppe, dass in den briti­schen Ländern und Kolonien der PN 16-Flansch­standard verwendet wurde und der DIN-Standard auf PN 10-Flansche aufgebaut war.

Das Nicht­be­achten dieser Proble­matik bewirkte, dass Planer und Anwender in der Praxis automa­tisch die PN 10-Vorschweiß­bunde mit den in UK-Ländern heimi­schen PN 16-Losflan­schen kombinierten.
Die technisch notwen­digen und sinnvollen Maßan­pas­sungen des Stahl­stan­dards EN 1092–1 wurde bei Verwendung von PN 16-Flanschen somit unwis­sentlich nicht umgesetzt.

In Bild 2 sieht man deutlich, dass bei dem ISO-Markt­standard die Kontakt­fläche zwischen Flansch/Kunststoffbund propor­tional sehr klein ist und unter der Innen­druck­be­lastung, falschen Schrau­ben­an­zugs­mo­menten schnell überfordert wird und zum „Fließen“ neigt.

Besserer Kontakt und weniger Probleme mit Montage und Leckage bei PE 100 PN 16 Flanschverbindung

Bild 2: Maßstäb­liche Darstellung der PN 10 – PN 16-ISO Proble­matik bei DN 600,
links ISO 9624, rechts analog Stahl­standard EN 1092–1

Warum wird diese ISO nicht korrigiert?

Allein die Tatsache, dass ein falscher Basis­standard über 20 Jahre wie beschrieben unver­ändert falsch der verwendete Markt­standard war, zeigt die Komple­xität dieser Frage.
Der „Markt“ wusste von Schadens­fällen, die aber nicht der falschen Normung, sondern anderen Ursachen zugeordnet wurden: flexibler Kunst­stoff, falsche Montage, falsche Dichtung bis zuletzt falscher Werkstoff.

Das Grund­problem liegt darin, dass eine Erkenntnis der Fehler­pro­ble­matik nicht korri­gierbar ist, weil bei der „ISO“ niemand verant­wortlich ist, obwohl es dort präsent positio­nierte Direk­toren für die Bereiche Technik oder Qualität gibt.

Das liegt erst einmal an der „Vereins­struktur“ der ISO, mit Verant­wort­lich­keiten von Personen, die bei Ansprache teilweise nicht reagieren oder die Verant­wort­lichkeit gerne an lokale Länder­or­ga­ni­sa­tionen delegieren, für Deutschland also die DIN in Berlin. Berlin jedoch verweist auf das „Angebot“, selbst aktiv in dieser Normungs­gruppe mitzu­machen. Das verläuft wie das bekannte Ping-Pong-Spiel, bis dem Ball die Energie ausgeht…

Ein „Nennweiten-April­scherz“ im gültigen Basis­standard ISO 9624

Nach über 20 Jahren Gültigkeit der alten ISO 9624-Erstausgabe erschien 2019 eine Überar­beitung dieses Flansch-Basisstandards.
Damit sollte nicht nur die von einem Arbeits­kreis­mit­ar­beiter erkannte PN 10 – PN 16-Proble­matik korri­giert werden, sondern auch neben einigen anderen Erwei­te­rungen zusätzlich sogar PN 25 thema­ti­siert werden!
Leider wurde der in Bild 2 darge­stellte PN 10 – PN 16-Basis­fehler erneut als Standard festge­schrieben, weil die Mehrheit der Arbeits­gruppe diese notwendige, „kostspielige“, optimierte Maßan­passung nicht unter­stütze. Ihrer Meinung nach wurde die Maßan­passung nicht benötigt, weil auf dem Markt keine techni­schen Probleme vorkamen.

Bei der Überar­beitung des Standards hat die Arbeits­gruppe inter­es­san­ter­weise einen Hinweis aufge­griffen, der aussagte, dass bei dem Rohrdurch­messer d 630 mm der Kontakt zwischen Bund und Flansch kritisch klein ist. Diese Aussage war zwar technisch gesehen korrekt, führte aber in der Praxis auch bei Nenndrücken über 10 bar hinaus zu keinem Problem, wenn gute Profil­dich­tungen und die markt­be­kannten DVS Schrau­ben­an­zugs­mo­menten verwendet wurden.
Statt­dessen hat dieser Arbeits­kreis als Problem­lösung den Vorschlag unter­breitet, bei d 630 mm nicht mehr DN 600, sondern DN 700-Flansche zu verwenden (Bild 3).

Damit hätte man das Problem des alten Standards gelöst, wenn auch der PE-Vorschweißbund logischer­weise angepasst worden wäre.
So wie in Bild 3 zu sehen, wurde jedoch der Standard letztlich verab­schiedet, mit falschem, größerem Flansch, aber mit alter, kleiner Kontakt­fläche. Voraus­ge­gangene „Einsprüche“ zur vorge­se­henen Nennwei­ten­än­derung, selbst aus dem eigenen Arbeits­kreis heraus, wurden nicht als fachlich begründet bewertet.

Nach der Veröf­fent­li­chung des Standards wurde Reinert-Ritz aktiv und infor­mierte einige von dem Normungs­fehler betroffene Firmen über das neue ISO-Kompa­ti­bi­li­täts­problem. Gleich­zeitig erfolgte auch der Vorschlag, wie die Kontakt­fläche um 25 % vergrößert werden kann, ohne die Nennweite zu verändern.
Der Änderungs­vor­schlag wurden dem Arbeits­kreis vorge­tragen und im Januar 2020 angenommen.

Fehlerhafte DN dn/OD Zuordnung in ISO 9624
Bild 3:

ISO 9624 – 2019:
Aus DN 600 – d 630 mm wurde zur „Optimierung“ DN 700 – d 630 mm

ISO 9624 DN-Korrektur ist erneut fehlerhaft

Im September 2021, nach 19 Monaten Umset­zungszeit, wurde die Korrektur veröf­fent­licht, jedoch wurde dabei vergessen, auch den Anhang zu korrigieren.
Eine Korrektur der Korrektur wäre fachlich notwendig und richtig, wurde jedoch vom Arbeits­kreis nicht unter­stützt, was ansatz­weise sogar verständlich ist, weil eine erneute Korrektur Jahre dauern würde und die Trans­parenz auch nicht erhöht.

Ein Rückzug mit nachfol­gender, korri­gierter Neuausgabe wäre die korrekte Lösung, erfolgte bisher aber nicht, weil der Fehler als gering­förmig einge­stuft wurde.
Somit bleibt weiterhin der fehler­hafte Standard ISO 9624 mit zusätz­licher, fehler­hafter Korrektur im Umlauf.

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PE-Flansch­ver­bin­dungen auch unter extremer Belastung machbar

Zum Abschluss der Hinweis, dass ingenieur­mäßig ausge­legte PE-Flansch­ver­bin­dungen bereits heute Bestandteil vieler beein­dru­ckender Druck­wasser-Projekte sind.
Als exempla­ri­sches Beispiel ist die 70 km lange DN 1500 PE Druck­rohr­leitung zu sehen, die freischwebend durch das Mittelmeer führt. Alle 500 m wird die von „Natur aus“ schwim­mende Rohrleitung in 250 m Tiefe mit dem Meeres­boden verankert, wobei im Mittel­punkt dieser Veran­kerung zwei Flansch­paare die Verbindung zwischen PE- und dem Stahl-Anker­bogen positio­niert sind.
Die d 1600 mm innen­druck­be­las­teten Flansch­ver­bin­dungen befinden sich dabei unter perma­nenter Biege­be­lastung. Dazu kommt der Einfluss von Meeres­strömung und Erdbebenstörungen.
Das Beispiel soll zeigen, dass bei richtiger Planung und Auslegung und unter Berück­sich­tigung der in diesem Beitrag erläu­terten Aspekte PE-Flansch­ver­bin­dungen problemlos dauerhaft ihre Funktion erfüllen können – man sollte die Proble­matik der ISO 9624 aber nicht verdrängen.

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